Großer Schachzug: Chinas Präsident Xi Jinping

In seiner letzten Videokolumne vor seiner Rückkehr nach Deutschland stellt Handelsblatt-Korrespondent Stephan Scheuer Chinas neue Führungsmannschaft vor. Aus der großen Halle des Volkes in Peking berichtet er vom Abschluss des Parteitages der Kommunistischen Partei Chinas im Oktober 2017. Mit Präsident Xi Jinping an der Spitze werden die Kader die zweitgrößte Volkswirtschaft fünf Jahre lenken.

Wichtige Fragen und Antworten zu Xi Jinping

Chinese President Xi Awaits the Arrival“ von U.S. Department of State/ CC0 1.0

Wer ist Xi Jinping?

Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Er ist der Sohn von Xi Zhongxun, einem revolutionären Veteranen und späteren Vizepremier, der zu den Gründern der Sonderwirtschaftszonen gehörte. Xi Jinping wuchs in privilegierten Verhältnissen auf, bis sein Vater 1962 politisch in Ungnade fiel. Während der Kulturrevolution wurde Xi Jinping als Jugendlicher aufs Land geschickt, wo er sieben Jahre lang in einem Dorf in Shaanxi lebte und arbeitete. Er trat 1974 der KPCh bei und studierte anschließend Chemieingenieurwesen an der Tsinghua-Universität in Peking.

Welche Rolle spielte sein Vater Xi Zhongxun in der Geschichte der Volksrepublik?

Xi Zhongxun war ein enger Gefährte von Mao Zedong und Zhou Enlai während des Langen Marsches und des Bürgerkriegs gegen die Kuomintang. Er war einer der ersten Führer der Kommunistischen Partei in Guangdong und gründete dort die erste Guerillabasis. Er wurde 1959 zum Vizepremier ernannt und war für die Propaganda- und Kulturarbeit zuständig. Er förderte die Reform- und Öffnungspolitik von Deng Xiaoping und war maßgeblich an der Schaffung der Sonderwirtschaftszonen beteiligt, die China zu einem wirtschaftlichen Aufschwung verhalfen. Er wurde jedoch 1962 von Mao Zedong entmachtet und während der Kulturrevolution verfolgt. Er wurde erst 1978 rehabilitiert und diente bis zu seinem Tod im Jahr 2002 als Berater für die Partei.

Was waren die wichtigsten Stationen in der Karriere von Xi Jinping?

Nach seinem Studium arbeitete Xi Jinping zunächst als Sekretär für den Verteidigungsminister Geng Biao, einen Freund seines Vaters. Er stieg schnell in der Parteihierarchie auf und wurde 1985 zum Parteisekretär von Zhengding, einer Kreisstadt in Hebei, ernannt. Er wechselte dann nach Fujian, wo er verschiedene Positionen innehatte, darunter Gouverneur der Provinz von 1999 bis 2002. Er wurde dann nach Zhejiang versetzt, wo er als Parteichef für das rasche Wirtschaftswachstum und die Verbesserung der Umweltqualität sorgte. Im Jahr 2007 wurde er zum Parteisekretär von Shanghai ernannt, nachdem sein Vorgänger wegen Korruption abgesetzt worden war. Im selben Jahr wurde er auch zum Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros gewählt, dem höchsten Entscheidungsgremium der Partei. Im Jahr 2008 wurde er zum Vizepräsidenten Chinas ernannt und übernahm die Verantwortung für die Olympischen Spiele in Peking und die Taiwan-Politik. Im Jahr 2010 wurde er zum Vizevorsitzenden der Zentralen Militärkommission ernannt, was seine Rolle als designierter Nachfolger von Hu Jintao festigte. Im Jahr 2012 wurde er zum Generalsekretär der KPCh gewählt.

Xi Jinping wird oft als Prinzling bezeichnet. Wofür steht der Begriff?
Der Begriff Prinzling (chinesisch: 太子党, taizi dang) bezeichnet die Kinder oder Enkel von hochrangigen Parteikadern, die in der Mao-Ära oder kurz danach an die Macht kamen. Xi Jinping ist ein typischer Prinzling, denn sein Vater Xi Zhongxun war ein Revolutionär und ein enger Vertrauter von Mao Zedong. Er war unter anderem Gouverneur von Guangdong und Vizepremier. Xi Jinping wuchs in privilegierten Verhältnissen auf, bis sein Vater 1962 in Ungnade fiel und er während der Kulturrevolution zur Umerziehung aufs Land geschickt wurde. Dort lebte er sieben Jahre lang in einer Höhle und arbeitete als Bauernjunge. Diese Erfahrung prägte ihn nach eigenen Angaben stark und machte ihn zu einem entschlossenen und pragmatischen Politiker.

Welche Richtungsentscheidungen hat Xi für China getroffen?
Xi Jinping hat seit seinem Amtsantritt eine Reihe von Richtungsentscheidungen getroffen, die China sowohl innen- als auch außenpolitisch verändert haben. Zu den wichtigsten gehören:
1. Die Antikorruptionskampagne: Xi Jinping hat eine massive Kampagne gegen Korruption und Amtsmissbrauch gestartet, die sowohl „Fliegen“ (niedrige Beamte) als auch „Tiger“ (hohe Funktionäre) ins Visier nimmt. Mehr als eine Million Parteimitglieder wurden diszipliniert oder strafrechtlich verfolgt, darunter auch einige ehemalige Spitzenpolitiker wie Zhou Yongkang oder Bo Xilai. Die Kampagne soll die Legitimität der Partei stärken und ihre Kontrolle über die Gesellschaft festigen.
2. Die Zentralisierung der Macht: Xi Jinping hat seine Macht innerhalb der Partei und des Staates konsolidiert, indem er mehrere Führungspositionen innehat und wichtige Entscheidungen selbst trifft. Er hat auch die Rolle des Führers gestärkt, indem er seine eigene Ideologie in die Parteiverfassung aufnehmen ließ und sich das Recht sicherte, unbegrenzt im Amt zu bleiben. Er hat zudem die Rolle der Partei in allen Bereichen des öffentlichen Lebens betont und ihre Einmischung in Wirtschaft, Bildung, Medien, Kultur und Religion verstärkt.
3. Die Modernisierung des Militärs: Xi Jinping hat die Reform und Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee vorangetrieben, um sie zu einer weltweit schlagkräftigen Streitmacht zu machen. Er hat die Struktur des Militärs vereinfacht, die Ausbildung verbessert, die Technologie erneuert und die Loyalität zur Partei gefördert. Er hat auch die militärische Präsenz Chinas im Südchinesischen Meer ausgebaut und seine Ansprüche auf umstrittene Inseln bekräftigt.
4. Die Erneuerung des Sozialismus: Xi Jinping hat das Ziel formuliert, China bis 2049 zum hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik zu einem „sozialistischen Land mit chinesischen Besonderheiten“ zu machen. Er hat dazu zwei Etappen definiert: Bis 2021 soll China eine „moderat wohlhabende Gesellschaft“ werden, bis 2035 soll es eine „sozialistische Moderne“ erreichen. Dabei hat er Ideen wie einer Demokratie westlicher Prägung oder individuellen Freiheitsrechten und Pressefreiheit eine klare Absage erteilt.

Wieso sieht Xi Jinping individuelle Freiheitsrechte und Pressefreiheit so kritisch?

Unter seiner Herrschaft hat die KPCh die Kontrolle über die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Medien verstärkt. Xi Jinping sieht individuelle Freiheitsrechte und Pressefreiheit als Bedrohungen für die Stabilität und Sicherheit des Landes an. Er glaubt, dass diese Rechte dem Gemeinwohl untergeordnet werden müssen und dass die Partei die Deutungshoheit über die Wahrheit hat. Er verfolgt eine Politik des „Sozialismus chinesischer Prägung“, die auf einer starken Führung, einer nationalistischen Ideologie und einer wachsenden globalen Rolle Chinas basiert.

Wofür steht Xis Strategie der Seidenstraße?

Xis Strategie der Seidenstraße, auch bekannt als „Belt and Road Initiative“ (BRI), ist ein ehrgeiziges Projekt, das darauf abzielt, China mit mehr als 60 Ländern in Asien, Afrika und Europa durch Infrastrukturinvestitionen, Handelsabkommen und kulturellen Austausch zu verbinden. Die Seidenstraße soll Chinas wirtschaftliche Entwicklung fördern, seine geopolitische Einflussnahme ausweiten und seine Soft Power erhöhen. Die Seidenstraße ist jedoch auch umstritten, da sie von vielen Ländern als Versuch Chinas gesehen wird, seine Interessen durchzusetzen, seine Schuldenfallen zu schaffen und seine Menschenrechtsstandards zu untergraben.

Wie hat sich China wirtschaftlich unter Xi Jinping entwickelt?

China ist unter Xi Jinping zu einer wirtschaftlichen Supermacht geworden, die die USA als größte Volkswirtschaft der Welt herausfordert. China hat in den letzten Jahren ein beeindruckendes Wachstum erzielt, das vor allem auf seiner industriellen Produktion, seinem Exportsektor und seinem Binnenmarkt basiert. China hat auch seine Innovationen gesteigert, seine digitale Transformation vorangetrieben und seine grüne Energie ausgebaut. Trotzdem steht China vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen, wie dem demografischen Wandel, der sozialen Ungleichheit, der Umweltverschmutzung und der Abhängigkeit von ausländischen Technologien.

Wie wird unter Xi Jinping mit Minderheiten in China umgegangen, insbesondere mit muslimischen Uiguren?

China hat offiziell 56 anerkannte Nationalitäten, von denen die Han-Chinesen etwa 92 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die anderen 55 Nationalitäten haben einen besonderen Status, der ihnen bestimmte Rechte im Bereich der Bildung und der Sprachförderung gewährt. Allerdings sind diese Rechte oft eingeschränkt oder verletzt, vor allem in den autonomen Regionen, die von den Minderheiten bewohnt werden. Dort kommt es häufig zu Konflikten zwischen den lokalen Bevölkerungsgruppen und der Zentralregierung, die versucht, ihre Kontrolle und ihren Einfluss zu verstärken.

Die Lage der Uiguren, einer muslimischen Minderheit in der westlichen Provinz Xinjiang, ist besonders dramatisch. Seit Jahren werden sie massiv überwacht, diskriminiert und unterdrückt von den chinesischen Behörden, die ihnen vorwerfen, separatistische oder terroristische Aktivitäten zu unterstützen. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen sind mehr als eine Million Uiguren in sogenannten Umerziehungslagern interniert worden, wo sie gezwungen werden, ihre Religion, Sprache und Kultur aufzugeben und sich dem Kommunismus und dem chinesischen Nationalismus zu unterwerfen. Die chinesische Regierung bestreitet diese Vorwürfe und behauptet, dass es sich um freiwillige Bildungs- und Berufsbildungszentren handelt, die der Bekämpfung von Extremismus und Armut dienen.

Was ist das Social Credit System und welchen Einfluss hat es auf das Leben in China?

Das Social Credit System ist ein umfassendes Regulierungssystem, das das Ziel hat, das Vertrauen und die Moral in der Gesellschaft zu fördern. Es basiert auf der Erfassung und Bewertung von Daten über das Verhalten von Personen, Unternehmen und Behörden. Das Ergebnis ist ein sozialer Kreditwert oder eine Punktzahl, die je nach den erfüllten oder verletzten Normen steigen oder sinken kann.

Das Social Credit System ist noch nicht vollständig implementiert, aber es gibt bereits zahlreiche Pilotprojekte und lokale Regelungen, die verschiedene Aspekte davon abdecken. Zum Beispiel gibt es schwarze Listen für Personen oder Unternehmen, die Schulden nicht zurückzahlen oder Verträge brechen. Diese können zu Sanktionen wie Reisebeschränkungen, Ausschluss von öffentlichen Dienstleistungen oder sozialer Ächtung führen. Auf der anderen Seite gibt es auch rote Listen für Personen oder Unternehmen, die als vorbildlich gelten. Diese können zu Belohnungen wie günstigeren Krediten, Steuervergünstigungen oder bevorzugter Behandlung führen.

Das Social Credit System soll einerseits die Rechtsstaatlichkeit und die Marktwirtschaft stärken, andererseits aber auch die politische Loyalität und die soziale Harmonie sichern. Kritiker befürchten jedoch, dass es zu einer umfassenden Kontrolle und Manipulation der Bürger führt, die ihre individuellen Freiheiten und Rechte einschränkt.